Der Holzfäller rannte an diesem kühlen Frühlingsmorgen wie der Wind, und als er schließlich an die Tür der Hebamme klopfte war er doch außer Atem. Diese öffnete, lächelte und nahm die schon bereitstehende Tasche in die Hand. Sie legte sich noch ihr Schultertuch um und sagte: "Ich bin fertig, laßt' uns gehen! Wie weit ist es denn?"
Der Mann sah sie hilflos an. "Ich habe doch von so etwas keine Ahnung! Wir haben uns so lange ein Kind gewünscht und erst jetzt wird uns dieser Wunsch erfüllt. Ich konnte leider keine Erfahrungen auf dem Gebiet sammeln." Die Hebamme lächelte nur verstehend und eilte neben ihm her zu seinem Haus.
Als sie dort ankam, schickte sie ihn heißes Wasser kochen und begann seine Frau zu untersuchen. Zu ihrer Freude war bei der, für ihr erstes Kind nicht mehr ganz jungen Frau alles wie es sein sollte, es würde wohl keine Komplikationen geben.
Und sie zu beruhigen redete sie mit ihr: "Ihr seid jetzt 31 Sommer alt, wenn ich mich nicht irre?" "Ja." erwiderte die hübsche rothaarige Frau. "Aber es wird doch alles gut gehen?" fragte sie angstvoll. Beruhigend meinte die Hebamme: "Ihr seid kräftig und gesund, es gab keine Komplikationen während der Schwangerschaft, ich bin sicher, das alles gut geht!" Sie lächelte der Frau aufmunternd zu.
Der Mann lief derweil im anderen Raum hin und her, murmelte vor sich hin und erst als nach Stunden die Hebamme erschien und ihm eine kräftige, gesunde, laut schreiende Tochter in die Arme legte hielt er inne. Er nahm das Baby ungeschickt und übervorsichtig in seine Arme und sah es ehrfürchtig an. "Was ist mit...?" begann er als er auch schon unterbrochen wurde. "Mit Eurer Frau ist alles in Ordnung. Sie hat die Geburt sehr gut überstanden und schläft nun!"
Der Mann strahlte das winzige Wesen in seinen Armen an. "Hattet Ihr Euch schon für einen Namen entschieden?" fragte die Hebamme. "Ja, meine Frau und ich wollten, dass sie Il'yenna heißen solle, wenn es ein Mädchen würde!" meinte der Mann zu ihr.
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Ein paar Jahre vergingen und die Tochter des Holzfällers entwickelte sich unter der steten Fürsorge ihrer liebevollen Eltern prächtig. Schon früh hatte sie eine auffällige Begabung mit den Tieren des Dorfes umzugehen. Sie schien sie instinktiv zu verstehen und die Tiere schienen sich in ihrer Nähe besonders wohl zu fühlen. Die Eltern mußte niemals Angst haben, wenn sie draußen spielte, denn sie wußten das jeder Hund des Dorfes auf ihr Kind acht gab. Trotz ihrer späten Elternschaft achteten sie darauf das Mädchen nicht überzubehüten. Sie hatten Vertrauen in ihre immer sehr vernünftig wirkende Tochter, auch als sie mit zunehmendem Alter immer längere Streifzüge in den Wald unternahm. Ihr Vater bemühte sich sie, so gut er konnte, in allem was ihr dort draußen von Nutzen sein konnte zu unterrichten und schon früh nahm sich der Waldhüter des Dorfes ihrer an und erklärte ihr alles was er über die Tiere des Waldes und ihre Lebensgewohnheiten wußte, und lehrte sie sich im Wald leise und unhörbar zu bewegen.
Trotz dieser Tatsache spielte sie viel mit den anderen Kindern des Dorfes und war beileibe keine Außenseiterin. Die anderen Kinder mochten und bewunderten sie für ihre Fähigkeit mit den Tieren zu kommunizieren und für ihr freundliches ruhiges Wesen. (Und sie wußten es zu schätzen, das sie jeden Hund der sie ansonsten bei ihren Streichen verraten hätte, beruhigen und wegschicken konnte.)
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Als sie 14 Sommer alt war, gebar die jüngere Schwester ihres Vaters einen Sohn. Niemand wußte wer dessen Vater war, aber die Dorfbewohner munkelten es müsse ein Nomade gewesen sein, da die dunkle Gesichtsfarbe des Jungen auffällig war. Die Frau war das Opfer einer Entführung durch Banditen gewesen und einige Monate verschollen geblieben. Niemand rechnete mehr damit sie jemals wiederzusehen, als sie eines Tages wohlbehalten und schwanger ins Dorf zurück kam. Niemandem erzählte sie je, was ihr widerfahren war.
Leider kränkelte der Junge schon im frühen Kindesalter vor sich hin. Immer hatte er irgendeine Erkältung oder eine Kinderkrankheit oder er war einfach matt und schwach. Seine Mutter versuchte ängstlich alles böse von ihm fernzuhalten und verwöhnte und verhätschelte ihn nach Strich und Faden.
Als er ein paar Jahre alt war und das Laufen gelernt hatte redete Il'yennas Vater auf seine Schwester ein, ihren Sohn Theleon nicht einzusperren sondern ihn mit den anderen Kindern draußen spielen zu lassen. Um sie zu beruhigen beauftragte er seine Tochter damit, immerzu ein wachsames Auge auf den Knaben zu haben.
Il'yenna fügte sich mit einem Seufzen. Dieses Kind war ihr so verschieden dass es ihr schwer fiel ein Mindestmaß an Freundlichkeit aufzubringen. Meist saß er eh in einer Ecke und träumte vor sich hin und die meisten Tiere bereiteten ihm Schrecken. Und es fiel ihr schwer ihn nicht andauernd zu ärgern, indem sie ihn mit Geschichten erschreckte oder ihm eine Maus vor die Nase setze. Trotz allem Widerwillen kam sie ihrer Aufgabe einige Monate zuverlässig nach.
Dann jedoch begann sich die zu einer hübschen jungen Frau herangewachsene Il'yenna der verhaßten Aufgabe immer öfter zu entziehen, indem sie sich immer länger in den Wäldern der Umgebung herumtrieb. Aus taglangen Ausflügen wurden tagelange, an denen sie auch des Nachts im Wald blieb.
Anfangs versuchten ihre Eltern sie mit Ermahnungen und Bitten von den tagelangen Streifzügen abzuhalten, versuchten zu erreichen das sie des Abends nach Hause käme, aber sie sahen bald ein, das es keinen Sinn hatte. Und da sie ihre Tochter liebten, ließen sie sie ihren Weg gehen.
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Eines Abends, Il'yenna war wiedereinmal tagelang nicht nach Hause gekommen, hörten ihre Eltern Hufgeklapper vor dem Haus. Der Vater stand auf, ging zur Tür und sah nach was denn dort draußen los war. "Ist da jemand?" rief er in die Dunkelheit und kniff die Augen zusammen um besser sehen zu können. "Vater!" hörte er eine begeisterte Stimme aus der Dunkelheit rufen. "Vater, sieh nur!"
Aus der Dunkelheit begannen sich die Umrisse seiner Tochter zu schälen, die ein dunkelbraunes Wildpferd hinter sich herlaufen hatte. Sie rannte auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. "Sieh nur, endlich vertraut es mir!" strahlte sie ihn an.
Ihr Vater besah sich das Pferd neugierig. Es war jung und kräftig, nicht sehr groß und zottelig. "Sehr schön!" sagte er, aber in seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken und er fürchtete, daß der Zeitpunkt an dem ihn seine Tochter verlassen würde nun nah war.
Während Il'yenna das Pferd auf den kleine eingezäunten Platz hinter dem Haus führte, erinnerte er sich, wie er mit jedem Jahr das seine Tochter älter wurde den Gedanken, sie würde hier im Dorf heiraten und eine Familie gründen, mehr und mehr aufgegeben hatte. Anfangs hatte er noch gedacht, daß sie sicher bald einen Jungen finden würde, der sie hier im Dorf halten würde. Aber auch wenn sie eine Weile mit einem der Dorfjungen herumlief und sich die beiden gut zu verstehen schienen, war dann doch der Wald die größere Leidenschaft und die Liebelei nur von kurzer Dauer.
Langsam hatte er begonnen, sich damit abzufinden, das das Leben im Dorf mit einem Mann und Kindern nicht das zu sein schien, welches seiner Tochter vorherbestimmt war. Er wollte das sie glücklich würde, und er hatte eingesehen das er sie dazu irgendwann würde gehen lassen müssen.
Seufzend betrat er das Haus.
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Der Holzfäller und seine Frau standen vor ihrem Haus und sahen ihrer Tochter zu wie sie ihre wenigen Habseligkeiten auf das Pferd lud. Dann umarmten sie sie nocheinmal und sie stieg auf und ritt winkend davon.
"Sie hat versprochen wiederzukommen!" versuchte der Mann seine Frau (und sich selber) zu trösten. "Sie ist ein gutes Mädchen! Sie kann auf sich aufpassen!"
"Ja..." sagte seine Frau und weinte weiter. Gemeinsam gingen sie ins Haus um sich gegenseitig zu trösten.